Am 30. November 2009 veröffentlichte Aaron Koenig, Medienunternehmer aus Hamburg/Berlin und Mitglied im Bundesvorstand der Piratenparten in seinem als persönlich gekennzeichneten Blog unter dem Titel Respekt für die Schweiz seine Meinung zum Ergebnis des Volksentscheides zum Bau von Gotteshäusern.
Der letzte Absatz lautet: Auch wenn das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung nicht jedem passen mag, bin ich davon überzeugt, dass eine direkte Demokratie, die auf die „Weisheit der Vielen“ setzt, auf Dauer zu einer besseren Gesellschaft führt. Wenn die Bevölkerung nicht nur bei Parlamentswahlen, sondern auch bei Sachfragen entscheiden kann, werden heikle Themen nicht unter den Teppich gekehrt, sondern offen angesprochen – auch wenn die Diskussion manchmal schwierig ist, wie im vorliegenden Fall. Insofern bin ich sehr dafür, das Schweizer Modell der direkten Demokratie auch in Deutschland einzuführen.
Am 1. Dezember hat ein Blogeintrag bei der taz das zum Thema. Kurz darauf erscheint auf der Startseite der taz unter Politik/Deutschland ein Artikel:
Ich werde dort wie folgt informiert:
* Ideologische Offenheit, Loslösen von Links-Rechts-Schemata, wie die Piratenpartei es propagiert, ist ja eine hübsche Vorstellung. Aber […]
* Ein Vorstand der Piratenpartei macht Leute, die ein Minarett bauen wollen, automatisch zu einer “politisch-totalitärer Bewegung”
* Koenig setzt Islam mit Islamismus gleich und ist offenbar der Meinung, dass der Islam nicht von der Religionsfreiheit geschützt sein soll
Ich ziehe mal den (unangemessenen) Vergleich zur Rede von Philipp Jenninger am 10. November 1988. Habe ich im Deutsch Unterricht durchgenommen. Ich fand die Rede toll und habe die Deutschen nicht verstanden:
Die Rede führte zum Rücktritt Jenningers am darauffolgenden Tag. Die Initialzündung liefert die Abgeordnete Jutta Oesterle-Schwerin: sie hatte einen schlechten Tag und verlässt während der Rede mit Zwischenrufen den Saal. Andere spüren, dass ein Eklat in der Luft liegt und landen einen Volltreffer: der politische Gegner wird geschwächt. Die Geschichte urteilt, dass die Rede als Paradebeispiel misslungener politischer Rhetorik gilt.
Ich interpretiere: wie bei Jenninger, versetzt sich Koenig in die Täterrolle (die Schweizer) und lässt eine böse Schlussfolgerung Minarette -> Islam -> Islamismus -> Terrorismus -> böse -> will-ich-nicht deutlich erahnen, nach dem Motto: irgend etwas in die Richtung werden die Schweizer sich wohl dabei gedacht oder befürchtet haben.
Initialzündung liefert diesmal die taz und der Landesverband NRW der Piratenpartei steigt ein und der böse Herr Koenig wird gebeten zurückzutreten. Warum? Und hier hinkt der Vergleich: wer ist der politische Gegner??
Also: Aaron Koenig befürwortet das Schweizer Modell der direkten Demokratie. Und?
Andere eher nicht:
- Der SPIEGEL findet bundesweite Volksabstimmungen doof: „…wäre es viel sinnvoller, das bestehende System zu optimieren und die Parteien zu zwingen, sich zu verändern.“
- Die Demokraten, die bei der BILD gerade schon mal Volksabstimmung üben, finden es toll: Von vielen, vielen abgegebenen Stimmen meinten gerade 82%: „Religionsfreiheit ja, aber Minarette gehören nicht ins Bild eines west-europäischen Landes.“ Ich vermute hier übrigens folgende Schlussfolgerung: Minarette -> verschandeln das Landschaftbild -> will-ich-nicht. Zumindest ist das deutlich weniger brisant als die böse Schlussfolgerung oben.
Ich habe derzeit keine Ahnung was Herr Koenig bisher so getrieben hat, aber sein Blog-Eintrag vom 30.November 2009 disqualifiziert ihn in meinen Augen nicht! Warum auch? Er hat jedoch, auch dank der taz, innerhalb der Piratenpartei eine rege Diskussion angezettelt: Danke dafür! Ich freue mich auf das was da noch so kommt.
Zum Wahlausgang in der Schweiz habe ich in der taz eine Analyse gelesen. Dort interpretiere ich:
- stärkste Unterstützung (der Ablehnung) auf dem Land wo keine Muslime leben. Mein Kommentar: vermutlich weil es auf dem Land keine aufklärende Presse zu lesen gibt. Z.B, gibt es in meinem Örtchen die taz nicht: nur Postzustellung.
- Schuld sind die linken Frauen, weil die taktisch gewählt haben. Mein Kommentar: Es wird immer wichtiger nicht taktisch zu wählen! Oder ist links jetzt neuerdings böse?
Quellen:
- Aaron Koenig: Respekt für die Schweiz!
- taz: piratenparteiler begruesst schweiz referendum
- taz: koenig der minarette
- wikipedia: Philipp Jenninger
- wikipedia: Rede am 10. November 1988 im Deutschen Bundestag
- googlebooks:
Political Correctness: Der sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen - Erklärung von Mitgliedern des Landesverbandes NRW zu Äußerungen Aaron Königs
- Der SPIEGEL: Debatte über Volksentscheide. Wo es brodelt.
- Bild.de: 7 Wahrheiten über den Islam
- taz: Frauen stimmten gegen Minarette
Das war jetzt blabla von mir. Geht auch kürzer: frei nach Jens Seipenbusch: Entgegen dem Wortlaut eines Blogpostings eine Interpretation vorzunehmen und diese dann abzulehen: solche Wortverdrehung und alleinansprüchliche Auslegung mit anschliessendem Bescheid der Meinungspolizei ist zutiefst unpiratiges Verhalten. Die Diskussion möge beginnen.
Interpretationen können, sowas von falsch sein…. müssen aber nicht. Lang lebe die Sprache!